Vorbemerkung
Die per 1. Januar 2023 in Kraft tretende Aktienrechtsrevision ist nicht nur in aller Munde, auch ist schon viel Tinte über sie geflossen.
Der innovative Revisionsbeitrag „Kapitalband“ geniesst in den zahlreichen Besprechungen des neuen Rechts einen hohen Stellenwert. Und dennoch: Vor allem für die Praxis wesentliche Fragen blieben bislang offen.
Darum geht es im Kern: Die Generalversammlung kann den Verwaltungsrat mittels Kapitalband (Art. 653s ff. des neuen Schweizerischen Obligationenrechts, nachfolgend «nOR») ermächtigen, das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital innerhalb einer bestimmten Bandbreite und während einer Dauer von maximal fünf Jahren beliebig zu erhöhen und/oder herabzusetzen. In beide Richtungen allerdings maximal um die Hälfte des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals.[1] Dabei ist das Mindestkapital von 100‘000.00 stets zu wahren (Art. 621 Abs. 1 nOR). Das neue Kapitalband entwickelt die (gerade noch) geltende genehmigte Kapitalerhöhung fort, ersetzt diese und kreiert auch gleich das transaktionstechnische Gegenstück, nämlich eine Art genehmigte Kapitalherabsetzung.[2]
Nun aber gleich ins Detail:
Durchführungsbeschluss
Will der Verwaltungsrat die ihm seitens der Generalversammlung mittels Kapitalband erteilte Ermächtigung nutzen, bedarf dies zwingend eines Durchführungsbeschlusses gemäss Art. 653u Abs. 2 nOR. Darin beschliesst der Verwaltungsrat, vom Kapitalband Gebrauch zu machen und eine Kapitalerhöhung und/oder eine Kapitalherabsetzung durchzuführen.
Technische Frage hier: Ist der Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats öffentlich zu beurkunden?
Nein. Zwar liesse sich aus den Regelungen der ordentlichen Kapitalerhöhung (Art. 650 ff. nOR) und der analogen Anwendbarkeit der Regelungen der Kapitalerhöhung sowie der Kapitalherabsetzung (Art. 653j nOR) ein Beurkundungserfordernis ableiten. Dem widerspricht aber, dass die ermächtigende Bestimmung bereits Inhalt eines notariell zu beurkundenden Generalversammlungsbeschlusses bildet. Auch liegt beim Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats noch keine Statutenänderung vor, welche eine Beurkundung impliziert. Ausserdem wird das Beurkundungserfordernis in den neuen Artikeln des Aktienrechts sonst explizit erwähnt (siehe dazu u.a. Art. 653u Abs. 4 nOR), hier gerade nicht (Art. 653u Abs. 2 nOR). Öffentlich zu beurkunden ist die Ermächtigung, da sie die Statuten betrifft, dann erst wieder die Feststellung und das statutarische Festhalten durchgeführter Erhöhung/Herabsetzung. Der dazwischenliegende Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats berührt die Statuten nicht. Schon deshalb, aber auch systematisch ist keine Beurkundungsnotwendigkeit zu erkennen. Dieses Ergebnis ist auch logische Konsequenz fehlenden Beurkundungszwangs betreffend den Durchführungsbeschluss im Rahmen der (gerade noch) geltenden genehmigten Kapitalerhöhung (Art. 651 f. OR).
Sinngemässe Anwendbarkeit der Gesetzesbestimmungen über die (ordentliche) Kapitalerhöhung
Wird das Kapitalband für eine Kapitalerhöhung genutzt, unterliegt deren Durchführung (und damit auch der Inhalt des entsprechenden Durchführungsbeschlusses des Verwaltungsrats der sinngemässen Anwendung der Gesetzesbestimmungen über die bedingte bzw. ordentliche Kapitalerhöhung (Art. 653u Abs. 5 i.V.m. Art. 650 ff. nOR).
Sinngemäss ist in diesem Zusammenhang weit zu verstehen. Allein schon die Übernahme von Art. 650 Abs. 3 nOR in das Instrumentarium des Kapitalbands bedarf eines kreativen Ansatzes. Nach dieser Bestimmung ist die Kapitalerhöhung innerhalb von sechs Monaten nach dem Beschluss der Generalversammlung beim Handelsregisteramt anzumelden, da ansonsten der Beschluss dahinfällt.
Wie lässt sich Art. 650 Abs. 3 nOR nun sinngemäss auf das Kapitalband anwenden?
Auf den Generalversammlungsbeschluss betreffend die Einführung (oder relevante Anpassungen) des Kapitalbands kann – ja darf – sich die sechsmonatige Frist nicht beziehen. Damit würde der Gesetzgeber selber die auf maximal fünf Jahre festgelegte Ermächtigungsfrist auf sechs Monate kürzen. Der Verwaltungsrat dürfte nach Ablauf der sechs Monate die Kapitalerhöhung gar nicht mehr umsetzen, da die Ermächtigungsgrundlage entfallen wäre. Von einer Ermächtigung über einen definierten Zeitraum könnte nicht mehr die Rede sein. Die Attraktivität des Instruments des Kapitalbands fiele damit hinter jene der vom letzteren abgelösten genehmigten Kapitalerhöhung zurück. Das widerspräche der gesetzgeberischen Ansicht und rechtfertigte gar eine Auslegung contra legem.
Ebenso wenig kann es gesetzgeberische Meinung sein, dass es zusätzlich zu (und zeitlich nach) dem Beschluss der Generalversammlung betreffend die Einführung (oder relevante Anpassungen) des Kapitalbands noch eines weiteren Generalversammlungsbeschlusses bedarf, der dann die Laufzeit der sechsmonatigen Frist auslöst. Auch dies widerspräche Sinn und Zweck des Kapitalbands, liegt dieser doch gerade darin, dass der Verwaltungsrat ermächtigt ist, eine Kapitalerhöhung ohne erneute Beschlussfassung durch die Generalversammlung durchzuführen. Ein zweiter Generalversammlungsbeschluss ist nicht denkbar und liesse sich beim besten (oder eher schlechtesten) Willen nicht aus Gesetzeswortlaut bzw. -systematik ableiten.
Korrekt (d.h. gemäss den in Art. 1 ZGB vorgesehenen Auslegungsregeln) analog angewendet muss sich die in Art. 653u Abs. 5 nOR i.V.m. Art. 650 Abs. 3 nOR erwähnte sechsmonatige Frist auf den im Rahmen seiner Ermächtigung durch die Generalversammlung vom Verwaltungsrat gemäss Art. 653u Abs. 2 nOR gefassten Durchführungsbeschluss beziehen, beginnt also zu laufen, sobald dieser Beschluss rechtskräftig vorliegt.
Sinngemässe Anwendbarkeit der Gesetzesbestimmungen über die Kapitalherabsetzung
Wird das Kapitalband für eine Kapitalherabsetzung genutzt, unterliegt deren Durchführung der sinngemässen Anwendung der Artikel über die Kapitalherabsetzung (Art. 653j ff. i.V.m. Art. 653u Abs. 5 nOR).
Hier stehen zwei Fragen im Vordergrund: (nochmals) jene nach dem Beginn der sechsmonatigen Durchführungsfrist gemäss Art. 653u Abs. 5 i.V.m. Art. 653j Abs. 4 nOR sowie jene nach dem Bilanzstichtag gemäss Art. 653l i.V.m. Art. 653u Abs. 3 nOR.
Auch in Bezug auf diese Themen ist sinngemäss weit zu verstehen.
Die sechsmonatige Frist kann – ja darf – sich auch im Rahmen der Kapitalherabsetzung unter Nutzung des Kapitalbands nicht auf den Generalversammlungsbeschluss betreffend dessen Einführung (oder relevante Anpassungen) beziehen. Damit würde der Gesetzgeber selber die auf maximal fünf Jahre festgelegte Ermächtigungsfrist auch hinsichtlich der Kapitalherabsetzung auf sechs Monate kürzen. Der Verwaltungsrat dürfte diese nach Ablauf der sechs Monate gar nicht mehr umsetzen.
Ebenso wenig kann es gesetzgeberische Meinung sein, dass es zusätzlich zu (und zeitlich nach) dem Beschluss der Generalversammlung betreffend die Einführung (oder relevante Anpassungen) des Kapitalbands noch eines weiteren Generalversammlungsbeschlusses bedarf, der dann die Laufzeit der sechsmonatigen Frist auslöst. Auch dies widerspräche Sinn und Zweck des Kapitalbands, liegt dieser doch gerade darin, dass der Verwaltungsrat ermächtigt ist eine Kapitalherabsetzung ohne erneute Beschlussfassung durch die Generalversammlung durchzuführen.
Korrekt (d.h. gemäss den in Art. 1 ZGB vorgesehenen Auslegungsregeln) analog angewendet muss sich die in Art. 653u Abs. 5 i.V.m. Art. 653j Abs. 4 nOR in Bezug auf die Durchführung der Kapitalherabsetzung, erwähnte sechsmonatige Frist auf den im Rahmen seiner Ermächtigung durch die Generalversammlung vom Verwaltungsrat gemäss Art. 653u Abs. 2 nOR gefassten Durchführungsbeschluss beziehen. Sie beginnt also zu laufen, sobald dieser Beschluss rechtskräftig vorliegt.
Stellt sich noch die Anschlussfrage, ob sich der ausschlaggebende Zeitpunkt auch betreffend die (Zwischen-)Bilanz auf den Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats bezieht?
Dass die in Art. 653u Abs. 3 hinsichtlich des Bilanzstichtags aufgestellte Altersguillotine auch im Rahmen des Kapitalbands zuschlägt, ist unbestritten. Das Gesetz selber hält explizit fest, dass «bei einer Herabsetzung des Aktienkapitals innerhalb des Kapitalbandes die Bestimmungen […] zum Zwischenabschluss […] bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung sinngemäss anwendbar [sind]»[3]; aber eben nur sinngemäss. Zwar war im ursprünglichen Entwurf zum neuen Aktienrecht noch eine direkte Anwendbarkeit von Art. 653l nOR auf das Kapitalband vorgesehen.[4] Danach wäre es die Einführung (bzw. die betreffenden Anpassungen) des Kapitalbands durch den Beschluss der Generalversammlung gewesen, welche den Zeitpunkt des Verfalls der letzten (Zwischen-)Bilanz für die Zwecke der Kapitalherabsetzung bestimmt hätte. Die entsprechende Bestimmung (Art. 653w nOR) wollte dem Verwaltungsrat ermöglichen, eine Kapitalherabsetzung durchzuführen, ohne dass es zu diesem Zeitpunkt einer Aufforderung an die Gläubiger/innen bzw. einer Prüfungsbestätigung durch eine/n zugelassene/n Revisor/in bedurft hätte. Sie wurde aber in beiden Räten gestrichen.[5]
Sinngemäss kann hier also nur bedeuten, dass der Zeitpunkt des Verfalls der letzten (Zwischen-)Bilanz für die Zwecke der Kapitalherabsetzung durch den Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats bestimmt wird. Damit darf der Stichtag der für die Zwecke der betreffenden Kapitalherabsetzung herbeigezogenen (Zwischen-)Bilanz nicht weiter als sechs Monate seit dem Durchführungsbeschluss zurückliegen.
Auch eine generelle(re) Betrachtung ergibt nichts anderes: Weder nach Wortlaut noch Systematik des neuen Rechts sind andere Schlüsse zu ziehen.
Diese hier in Bezug auf den Bilanzstichtag wie gezeigt zwingend notwendige Substitution des Generalversammlungsbeschlusses durch den Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats ermöglicht auch erst, dass die sechsmonatige Frist für die Durchführung einer Kapitalherabsetzung im Rahmen des Kapitalbands überhaupt Anwendung finden kann. Diese Substitution schafft also Konsistenz. Überdies stützt sie das oben zur Kapitalerhöhung im Rahmen des Kapitalbands Gesagte.
Gerne beraten wir Sie im Zusammenhang mit der Aktienrechtsrevision und unterstützen Sie im Rahmen der Umsetzung mit unseren Dienstleistungen.
[1] Botschaft vom 23. November 2016 zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht), BBl 2017, S. 435. [2] Botschaft vom 23. November 2016 zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht), BBl 2017, S. 435. [3] Art. 653u Abs. 3 nOR. [4] Botschaft vom 23. November 2016 zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht), BBl 2017, S. 436. [5] Fahne 2018 IV S: 16.077n: S1-2 D.pdf – Fahne Entwurf 1 Wintersession 2018 Ständerat; Fahne 2019 IV N: 16.077n: N1-55 D.pdf – Fahne Entwurf 1 Wintersession 2019 Beschluss Nationalrat; Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (Stand am 1. Januar 2023; SR 220; OR).