Hintergrund – Was ist die digitale Wirtschaft?
Unsere Weltwirtschaft wird von der digitalen Transformation getrieben und geht in eine digitale Wirtschaft über. Virtuelle Verbindungen zwischen Menschen und Unternehmen sind Basis dieser Transformation. Das Internet der Dinge (IoT) vernetzt zunehmend auch Maschinen, Geräte und Prozesse.
Die digitale Wirtschaft umfasst ein breites Spektrum von Wirtschaftszweigen, die Informationen über die Nutzung von digitalen Dienstleistungen als Schlüsselfaktoren zur eigenen Leistungserbringung nutzen. Das Internet, Cloud Computing, Big Data, Fintech, Blockchain und andere neue digitale Technologien werden eingesetzt, um durch sammeln, speichern und auswerten von Informationen Einnahmen zu generieren.
Wir alle kennen die Beispiele von Uber, dem grössten Taxiunternehmen der Welt ohne ein einziges Taxi zu besitzen; Alibaba, einem riesigen Einzelhändler ohne eigenes Warenlager oder Airbnb, dem weltweit grössten Anbieter von Unterkünften ohne eine Immobilie zu besitzen.
Digitale Unternehmen wachsen weitaus schneller als die Wirtschaft insgesamt, die bestehenden Steuersysteme sind jedoch überholt und können eine wirksame Besteuerung der digitalen Wirtschaft nur unzureichend sicherstellen. Bisher erfolgte die Besteuerung grundsätzlich an dem Ort, an dem eine steuerpflichtige Person über eine physische Präsenz verfügte. Bei Unternehmen, die digitale Dienstleistungen anbieten, ist jedoch oft keine physische Präsenz in den Ländern der Dienstleistungserbringung mehr erforderlich.
Die Länder sind nicht mehr bereit auf die Besteuerung solcher Gewinne zu verzichten und kämpfen gegen das wahrgenommene Missverhältnis zwischen Besteuerung und Wertschöpfung bei digitalen Aktivitäten.
Im März 2018 hat die Europäische Kommission die folgenden zwei Vorschläge zur Weiterentwicklung der derzeitigen Steuervorschriften im Hinblick auf die Digitalisierung der Wirtschaft vorgelegt:
Steuerpflichtiger Anknüpfungspunkt für digitale Unternehmen: Erweiterung des Konzepts der Betriebsstätte
Ein erster neuer Vorschlag für eine EU-Ratsrichtlinie, der von der EU-Kommission am 21. März 2018 veröffentlicht wurde (KOM(2018) 147 („Digital Service Directive“ oder „DSD“), richtet sich hauptsächlich an grosse Technologieunternehmen. Eine so genannte „signifikante digitale Präsenz“ in einem Mitgliedstaat liegt vor, wenn ein digitaler Dienst über eine digitale Schnittstelle angeboten wird und eine oder mehrere der folgenden Schwellenwerte überschritten werden:
- Der Anteil der Gesamterträge aus der Erbringung der digitalen Dienste für Nutzer in einem Mitgliedstaat übersteigt EUR 7 Millionen in einer Steuerperiode;
- Die Zahl der Nutzer eines digitalen Dienstes in einem Mitgliedstaat übersteigt 100’000 in einer Steuerperiode;
- Die Zahl der Business-to-Business-Verträge über digitale Dienste in einem Mitgliedstaat übersteigt 3’000.
Der Anteil der Gesamterträge soll im Verhältnis dazu bestimmt werden, wie oft Geräte im betreffenden Steuerzeitraum durch Nutzer weltweit genutzt werden, um auf die digitale Schnittstelle zuzugreifen (kann sich vom tatsächlichen Umsatz in einem Mitgliedstaat unterscheiden).
Die Liste der potenziell qualifizierten digitalen Dienste in Anhang II DSD ist sehr detailliert und umfasst (neben den offensichtlichen digitalen Dienstleistungen wie dem Herunterladen von Musik, Spielen und Filmen) beispielsweise Online-Wetterberichte, Desktop-Themen, Verkehrsinformationen und virtuelle Vorträge. In Anhang III DSD sind dagegen Dienstleistungen aufgeführt, die ausdrücklich nicht als digitale Dienstleistungen qualifizieren. Dies gilt z.B. für Rundfunk- und Fernsehanstalten, Lehrdienste (mit einem Sportlehrer) oder Dienste von Rechtsanwälten, die Kunden per E-Mail beraten.
Aufgrund des breiten Anwendungsbereichs ist zu erwarten, dass fast alle grossen Technologieunternehmen in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union über eine signifikante digitale Präsenz verfügen werden. Nicht betroffen sein sollten dagegen Unternehmen, die online physische Waren verkaufen, da die DSD ausschliesslich auf das Angebot digitaler Dienstleistungen abzielt, die über eine Schnittstelle digital zugänglich gemacht werden.
Die Zuordnung der Gewinne soll auf den bereits heute für Betriebsstätten geltenden Grundsätzen aufbauen (OECD-Ansatz). Einer signifikanten digitalen Präsenz sind damit diejenigen Gewinne zuzuordnen, die sie erzielt hätte, wenn es sich um ein separates und unabhängiges Unternehmen gehandelt hätte, das gleiche oder ähnliche Tätigkeiten unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausgeübt hätte. Dieser Grundsatz sollte jedoch an die Art und Weise angepasst werden, wie im Zusammenhang mit digitalen Dienstleistungen Wertschöpfung erfolgt. So soll zum Beispiel das Kriterium der massgeblichen Personalfunktionen als nicht mehr als ausreichend gelten um eine angemessene Gewinnzuteilung zu erreichen. In der digitalen Wirtschaft erfolgt die Wertschöpfung typischerweise aus einer Kombination von Algorithmen, Benutzerdaten, Verkaufsfunktionen und Wissen (z.B. trägt ein User zur Wertschöpfung bei, wenn er seine Präferenzen auf Social Media teilt). Daher sollten bei digitalen Dienstleistungen die Tätigkeiten im Zusammenhang mit Daten und Nutzern als wirtschaftlich bedeutsam angesehen werden und die Gewinnaufteilungsmethode basierend auf Ausgaben für Forschung, Entwicklung, Vermarktung von immateriellen Vermögenswerten oder der Anzahl der Nutzer angewendet werden. Bei Nachweis der Angemessenheit durch den Steuerzahler sind auch alternative Zuteilungsmethoden anwendbar.
Gemäss der DSD soll zudem ein neuer beratender Ausschuss für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft namens „DigiTax“ eingerichtet werden. Der DigiTax-Ausschuss soll Fragen zur Anwendung der DSD beantworten und aus einem Mitglied der Kommission und Vertretern der Mitgliedsstaaten bestehen.
Mögliche Auswirkungen auf in der Schweiz ansässige Unternehmen
Die neue Art von Betriebsstätte im Zusammenhang mit einer bedeutenden digitalen Präsenz sollte nicht für Unternehmen gelten, die ihren steuerlichen Wohnsitz in einem Nicht-EU-Land haben und mit dem ein Doppelbesteuerungsabkommen („DBA“) mit dem betreffenden Mitgliedstaat besteht. Da die Schweiz über DBA’s mit allen EU-Mitgliedstaaten verfügt, sollten die neuen Regeln nicht direkt auf Unternehmen mit Sitz in der Schweiz anwendbar sein. Die Kommission hat jedoch bereits empfohlen, die DBA’s mit Drittländern wie der Schweiz neu zu verhandeln. Langfristig ist daher zu erwarten, dass das neue „digitale Betriebsstätte“ auch für Unternehmen mit Sitz in der Schweiz gelten wird, falls digitale Dienstleistungen in EU-Mitgliedstaaten angeboten werden.
Kurzfristige Lösung: Einführung einer digitalen Dienstleistungssteuer
Bereits 10 Mitgliedstaaten haben einseitige Massnahmen zur Besteuerung digitaler Dienste eingeführt. Um diesen wachsenden Absichten entgegenzuwirken, die den Binnenmarkt fragmentieren und den Wettbewerb verzerren können, beabsichtigt die Europäische Kommission eine vorübergehende digitale Dienstleistungssteuer (KOM(2018) 148 („DST“)) von 3% auf digitale Einnahmen einzuführen. Die DST soll bereits ab 1. Januar 2020 anwendbar sein und so lange gelten bis eine umfassende Lösung gefunden werden konnte.
Die DST würde für die folgenden digitalen Dienstleistungen gelten:
- Werbung auf digitalen Schnittstellen/Plattformen;
- Dienste von digitalen Schnittstellen/Plattformen, die es Benutzern ermöglichen sich miteinander zu verbinden und zu interagieren (die digitale Schnittstelle ermöglicht die Verbindung von Benutzern und Interaktion; anders als beispielsweise Instant Messaging-Dienste, bei denen Benutzer bereits auf andere Weise vorher Kontakt getreten sind);
- Dienste von digitalen Schnittstellen/Plattformen, die die Erbringung von Dienstleistungen oder Waren zwischen Nutzern erleichtern;
- Übertragung von Benutzerdaten, die aus den Aktivitäten der Benutzer generiert wurden, auf digitale Schnittstellen/Plattformen.
Generell ausgeschlossen sind die folgenden digitalen Dienstleistungen:
- Digitale Schnittstellen/Plattformen zur Bereitstellung digitaler Inhalte (z.B. Musik, Spiele, Anwendungen oder Videos), Kommunikation (z.B. Instant Messaging oder E-Mail-Dienste) oder Zahlungsdienste für Nutzer;
- Handelsplätze; und
- Crowdfunding Dienstleistungen.
Ein Unternehmen qualifiziert sich unter den folgenden Voraussetzungen als Steuerpflichtiger:
- Der Gesamtbetrag der von dem Unternehmen für das letzte vollständige Geschäftsjahr, für das ein Jahresabschluss vorliegt, ausgewiesene weltweite Umsatz übersteigt EUR 750 Millionen; und
- der Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Einnahmen, die das Unternehmen in der EU in diesem Haushaltsjahr erzielt hat, übersteigt EUR 50 Millionen.
Insbesondere mit dem ersten Schwellenwert von EUR 750 Millionen des weltweiten Umsatzes zielt die EU-Kommission vor allem auf grosse Technologieunternehmen, die ein hohes Nutzervolumen anziehen und von Netzwerkeffekten und der Nutzung grosser Datenmengen profitieren können. Die Kommission argumentiert, dass gerade in solchen Fällen grössere Differenzen zwischen dem Ort der Besteuerung und dem Ort der Wertschöpfung bestehen können. Zudem haben nach Ansicht der Kommission vor allem grössere Unternehmen Möglichkeiten zu aggressiver Steuerplanung.
Die DST wäre in den Mitgliedstaaten fällig in denen sich die Nutzer befinden. Wenn sich die Nutzer in verschiedenen Mitgliedstaaten befinden, muss die Steuerbemessungsgrundlage zwischen den Mitgliedstaaten anhand noch zu bestimmender Verteilschlüssel ermittelt werden.
Mögliche Auswirkungen für Gesellschaften in der Schweiz
Die temporäre digitale Dienstleistungssteuer in Höhe von 3% wird (sofern diese von den EU Mitgliedstaaten angenommen wird) auch bei Gesellschaften erhoben, die nicht in der EU ansässig sind. Schweizer Gesellschaften können deshalb ebenfalls der DST unterliegen, wenn ihr weltweiter Umsatz EUR 750 Millionen übersteigt und davon EUR 50 Millionen in der EU erzielt werden. Obwohl dies noch nicht abschliessend geklärt ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese Steuer in der Schweiz als geschäftsmässig begründeter Aufwand steuerlich in Abzug gebracht werden kann.
Nächste Schritte
Die Vorschläge der Kommission müssen einstimmig von allen EU Mitgliedstaaten genehmigt werden. Diese Zustimmung wird nicht einfach zu erreichen sein, da die geplante Reform Besteuerungsrechte zwischen den EU Mitgliedstaaten verschieben wird und sich insbesondere diejenigen Staaten zur Wehr setzen werden, in welchen sich besonders viele Hauptsitze der von der Steuer betroffenen Gesellschaften befinden. Trotzdem beabsichtigen die Kommission und die sie unterstützenden EU Mitgliedstaaten ein rasches Verfahren und eine baldige Umsetzung in nationales Recht bis zum 31. Dezember 2019, so dass die neue Regelung ab 1. Januar 2020 in Kraft treten wird.